„Wir lassen niemanden allein"
Holger Catenhusen, Geschäftsführer des Mietervereins Potsdam und Umgebung e.V., sprach mit ProPotsdam-Geschäftsführer Jörn-Michael Westphal über den Krieg in der Ukraine, steigende Energiepreise und Hilfsprogramme für Mieter*innen.
Holger Catenhusen: Am 24. Februar begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Viele Menschen wissen noch, was sie in dem Moment gemacht haben, als sie die Nachricht vom Kriegsbeginn hörten – ähnlich wie damals beim Anschlag auf das World Trade Center. Wo waren Sie, als Sie davon erfahren haben?
Jörn-Michael Westphal: Das war zunächst ein ganz normaler Arbeitstag. Wie alle hatte ich schon in den Tagen zuvor die Nachrichten über die Entwicklungen in der Ukraine verfolgt. Aber als dann die ersten Angriffe begannen, war das erst einmal gar nicht fassbar. Es hat mich sehr betroffen gemacht. Ein solcher Krieg mitten in Europa war bis dahin gar nicht mehr vorstellbar. Vor allem auch, weil wir alle in Europa eng miteinander verbunden sind, nicht zuletzt durch die Globalisierung, den gemeinsamen Handel, den Tourismus und die weltweite Kommunikation.
Wie schnell ist Ihnen klar geworden, dass das auch hierzulande wirtschaftliche Auswirkungen haben könnte?
Steigende Energiepreise und die Frage der Energieversorgung wurden bereits in den Wochen und Monaten zuvor thematisiert und in verschiedenen Szenarien diskutiert. Dass das kritischste Szenarium eintritt, hat trotzdem alle überrascht. Die Dimension des Preisanstiegs wie zum Beispiel beim Gas war nicht absehbar. Unsere Wohnungen werden zu fast 100 Prozent mit Gas als Energieträger versorgt, sei es über die Fernwärme oder direkt. Wir haben dafür zwar langfristige Verträge, aber wie sich die Preise entwickeln und ob es zu Versorgungsengpässen kommt, wird sich erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Neben den Energie- werden jedoch auch die Baukosten immer höher. Wir haben sehr schnell damit begonnen zu prüfen, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf unsere Mieter*innen, unser Unternehmen und unsere Bau- und Sanierungsvorhaben haben.
Macht es Ihnen Sorge, dass Ihre Mieter*innen jetzt in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen mehr Geld ausgeben müssen, zum Beispiel für Lebensmittel und Kraftstoffe, und parallel die Löhne nicht steigen?
Natürlich mache ich mir darüber Sorgen. Die Frage, wie wir Haushalten mit geringen Einkommen helfen können, beschäftigt uns schon immer und wird uns auch weiterhin beschäftigen. Wir können mit den Bewohner*innen aber nur über die Miete ins Gespräch kommen. Auf Energiekosten, wie zum Beispiel Strom, haben wir keinen Einfluss. Diese Verträge laufen direkt über die Versorger. Wer hier in Nöte gerät, sollte sich an die Schuldnerberatung wenden oder mögliche Ratenzahlungen mit seinem Versorgen besprechen.
Können Sie Ihren Mieter*innen öffentlich versprechen, dass aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise niemandem gekündigt wird?
Was passiert, wenn jemand aufgrund der steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten seine Miete nicht mehr bezahlen kann? Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, forderte jüngst ein Moratorium, so dass niemandem gekündigt werden darf, der wegen stark gestiegener Heizkosten seine Nebenkostenabrechnung nicht fristgerecht bezahlen kann. Während der Corona-Pandemie gab es ein ähnliches Aussetzen von Wohnungskündigungen. Sind Sie für ein solches Moratorium?
Während der Corona-Pandemie konnten wir beobachten, dass es nicht zu der befürchteten Welle von Zahlungsproblemen gekommen ist. In der Praxis gab es nur sehr wenige Fälle, in denen Mieter*innen ihre Zahlungen nicht leisten konnten. In diesen Fällen haben wir eine einvernehmliche Lösung finden können und Unterstützungsangebote aufgezeigt.
Es gibt die Befürchtung, dass wegen der hohen Energiepreise schnell mal Nachzahlungen von 2.000 Euro oder noch mehr fällig werden könnten. Der normale Haushalt ist darauf nicht eingestellt. Was sollen Ihre Mieter*innen dann tun?
Mieter und Mieterinnen sollten weiterhin verantwortlich mit ihrem Energieverbrauch umgehen. Zudem ist die Annahme zur Höhe der Nachzahlungen aktuell meistens sehr pauschal. Niemand kann im Moment sagen, wie sich Markt, Verbrauch und Preise in den nächsten Monaten entwickeln werden. Also kann auch niemand sagen, welche Nachzahlungen auf die Mieter*innen zukommen.
Die Kosten für den Energieverbrauch hängen sehr vom Zustand des Wohnhauses ab. Wir haben in den letzten Jahren sehr viele energetische Sanierungsmaßnahmen in unseren Gebäuden durchgeführt. Unser Ziel ist stets, 30 Prozent unterhalb der gesetzlichen Vorgaben für Energiestandards zu erreichen. Das heißt, dass unsere Häuser nur 70 Prozent des vorgeschriebenen Energiebedarfs haben. Damit ist der Energiebedarf schon durch unsere Sanierungen reduziert worden. Bei einem sanierten Gebäudebestand von 80 Prozent bezieht sich das auf den Großteil unserer Bewohnerschaft.
Können Sie Ihren Mieter*innen öffentlich versprechen, dass aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise niemandem gekündigt wird?
Pauschale Versprechen kann niemand abgeben, weil niemand die Entwicklungen voraussehen kann. Ich kann aber versprechen, dass wir uns für unsere Mieter*innen einsetzen, damit sie diese Zeit möglichst unbeschadet überstehen. Wir tun alles, was in unseren Möglichkeiten liegt, damit sich Keiner fürchten muss. Mit Blick auf unsere Mieter*innen gilt auch und gerade jetzt: Wir lassen niemanden allein.
Ganz wichtig ist, dass sich Bewohner*innen, die in Nöte geraten, an uns wenden. Nur so sind individuelle Lösungen möglich. Die Probleme sind von Fall zu Fall verschieden. Es gibt Mieter*innen, da sind die Kinder ausgezogen oder man hat sich getrennt und lebt nun allein. Und plötzlich stellt man fest, dass die Wohnung zu teuer geworden ist. Dann prüfen wir zum Beispiel, ob die Belastung zu groß ist, ob die Wohnung geeignet ist, ob eine andere Wohnung in unserem Bestand passender ist.
Haben Sie konkrete Programme, um Ihre Mieter*innen zu entlasten?
Wir haben sogar mehrere Bonusprogramme. Mit dem Wohnflächenbonus können wir eine vergünstigte Miete anbieten, wenn Mieter*innen von einer großen in eine kleinere Wohnung umziehen. Mit diesem Bonus sparen Sie durchschnittlich 150 Euro Kaltmiete pro Monat. Auch der Umzug wird von uns finanziell unterstützt, 100 Euro Zuschuss zu den Umzugskosten pro Quadratmeter reduzierter Fläche. Das heißt, jemand, der eine 50 Quadratmeter kleinere Wohnung bezieht, erhält 5.000 Euro für seinen Umzug. Eine weitere Option ist unser Sozialfonds Plus, der Mieter*innen zugutekommt, die temporär Unterstützung benötigen, etwa weil sie eine Umschulung machen oder für eine Zeit aufgrund von Krankheit beruflich ausfallen.
Wie kommen die Betroffenen an diesen Sozialfonds?
Auch durch eine Beratung von uns. Voraussetzung ist allerdings, dass uns die Mieter*innen ansprechen und uns ihre Lage erläutern. Nur so können wir selbst oder auch in Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt Potsdam geeignete Lösungen für die jeweiligen Problemlagen finden und anbieten.
Pauschale Versprechen kann niemand abgeben, weil niemand die Entwicklungen voraussehen kann. Ich kann aber versprechen, dass wir uns für unsere Mieter*innen einsetzen, damit sie diese Zeit möglichst unbeschadet überstehen.
Sie erwähnten, dass die Wohnungen der ProPotsdam im Wesentlichen mit Gas versorgt werden. Der Trend geht jedoch hin zur Nutzung regenerativer Energiequellen, wie beispielsweise Erdwärme.
Bei jedem neuen Bauprojekt gehört die Prüfung der Energieversorgung zum Prozedere. Wir fragen, welche Form der Versorgung für das jeweilige Haus die geeignetste ist. Es zeigt sich, dass künftig vor allem die Kombination von Fernwärme und erneuerbaren Energiequellen ein Thema ist. Wir haben in unserem Bestand zum Beispiel Solarthermieanlagen oder eine Holzpelletanlage. Aktuell sind Projekte in Planung, bei denen wir die Einbindung von Wärmepumpen prüfen.
Zum Thema Neubau: Wenn die ProPotsdam neue Wohnungen baut, dann verspreche ich mir davon eine Entlastung des Wohnungsmarktes und damit auch eine Dämpfung der Mieten. Nun berichten Sie aber von steigenden Baukosten, die sich auf den Mietpreis auswirken. Muss man sich demnächst fragen, ob Potsdamer*innen sich neue Wohnungen überhaupt leisten können?
Wir werden weiterhin Wohnungen bauen, die sich die Potsdamer*innen leisten können. Als kommunales Wohnungsunternehmen orientieren wir uns daran, den sozialen Wohnungsbau mit öffentlichen Fördermitteln durchzuführen. Für geförderte Wohnungen liegt der Quadratmeterpreis für Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins bei 5,50 Euro, für Berechtigte der zweiten Einkommensgruppe bei 7 Euro. Bei Neubauvorhaben sind 75 Prozent der Wohnungen geförderte, der Rest ist frei verfügbar. Bei diesen Wohnungen liegen wir aktuell bei rund 12 Euro pro Quadratmeter und damit unter den Angeboten der meisten anderen Anbieter.
Neben den Energie- und Baukosten macht uns die Zinsentwicklung ernsthaft Sorgen. Wir stehen vor einer sogenannten Zinswende. Bislang waren die Zinsen für Kredite sehr gering, Kostensteigerungen in der Baubranche wurden durch die geringen Entgelte für die Banken kompensiert. Jetzt haben wir eine neue Situation, deren Auswirkungen wir noch nicht abschätzen können: Sowohl steigende Kosten am Bau und als auch bei der Baufinanzierung. Das wird eventuell den Umfang unserer Bautätigkeit beeinflussen.
Sehen Sie Möglichkeiten, dieser Entwicklung entgegenwirken zu können?
Wir hoffen darauf, dass es entsprechende Förderprogramme geben wird, die den sozialen Wohnungsbau weiter unterstützen. Die Bundesregierung hat sich ja selbst das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr gesetzt. Angesichts steigender Baukosten und steigender Zinsen kann diese Zielsetzung nur mit den entsprechenden Unterstützungsangeboten realisiert werden. Das betrifft übrigens nicht nur die Pläne für den Neubau, sondern auch Sanierungsmaßnahmen und die Umsetzung der anvisierten Klimaschutzziele des Bundes.
Durch die sogenannte Modernisierungsumlage finanzieren die Mieter*innen die Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen mit. Wenn die Baukosten steigen, kann es dann sein, dass die Bewohner*innen dies irgendwann nicht mehr bezahlen können? Aktuell dürfen Vermieter maximal 8 Prozent der Modernisierungskosten pro Jahr auf die Mieter umlegen. Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, schlug kürzlich vor, diese Umlage auf vier Prozent zu senken. Wäre das machbar?
Bauvorhaben können sehr unterschiedlich sein. Die Anforderungen im Altbau, wo eventuell noch der Denkmalschutz zu beachten ist, sind andere als zum Beispiel bei Plattenbauten. Mieter*innen sind hinsichtlich der Modernisierungsumlage aktuell bereits geschützt, denn diese ist auf 3 Euro pro Quadratmeter gekappt, wer eine Wohnung mit einer Miete bis zu 7 Euro hat, bezahlt maximal 2 Euro als Umlage. Würde die Umlage weiter gesenkt werden, würden viele Bauvorhaben nicht mehr durchführbar sein. Banken würden hierfür keine Darlehen mehr gewähren, wenn die Finanzierung der Sanierungskosten nicht über die Miete gesichert werden. Das würde ganz sicher den Umfang unserer Sanierungstätigkeit beeinflussen.
Über welchen Zeithorizont sprich man bei der Refinanzierung, zehn Jahre, zwanzig Jahre?
In der Regel haben Darlehen eine Laufzeit von mindestens zwanzig Jahren. Sind die Kreditzinsen niedrig, kann die Tilgung auch schneller erfolgen. Wenn jetzt jedoch die Zinsen wieder steigen, muss man sich das genauer anschauen. Dann können Darlehen vielleicht erst über einen Zeitraum von 40 Jahren zurückgezahlt werden. Erst wenn die Kredite für eine Sanierung getilgt sind, kann über eine nächste Erneuerung oder Modernisierung nachgedacht werden. Das würde bedeuten, dass sich der Sanierungszyklus eines Gebäudes von 20 auf 40 Jahre verlängert. Dann müssten wir uns ernsthaft Gedanken um die Substanz unserer Häuser machen. Die meisten von uns können sich ja sicher noch daran erinnern, was es bedeutet, wenn Gebäude 40 Jahre nicht erneuert werden können.
Können Sie Ihren Mieter*innen in irgendeiner Hinsicht auch einen positiven Ausblick bieten, trotz des Krieges in Osteuropa und der steigenden Preise? Gibt es etwas, worauf man hoffen kann?
Meine größte Hoffnung ist, dass der Krieg in der Ukraine schnell vorbei sein wird. Ein positiver Ausblick ist schwierig, da wir noch gar nicht alle Auswirkungen abschätzen können. Doch bei all den schlechten Nachrichten und den schlimmen Schicksalen bin ich froh über die Solidarität und die Unterstützung, die wir Potsdamer den Geflüchteten aus der Ukraine entgegenbringen. Das Team der Biosphäre Potsdam hat sehr schnell die Anlaufstelle für Geflüchtete eingerichtet und eröffnet. Mit unserer Tochtergesellschaft, der gemeinnützigen gGmbH Soziale Stadt ProPotsdam, konnten wir kurzfristig in der Potsdamer Innenstadt, im Begegnungszentrum oskar in Drewitz und auch im Friedrich-Reinsch-Haus am Schlaatz viele Begegnungs- und Hilfsangebote für Ukrainer*innen schaffen. Aber auch das Engagement anderer Vereine und Initiativen in den Nachbarschaften hat in dieser Krise einmal mehr gezeigt, dass das Ehrenamt in Potsdam eine wichtige Stütze ist. Die tollen Projekte unterstützen wir sehr gern, zum Beispiel in unserem Förderwettbewerb „Gemeinsam für Potsdam“, der bald wieder beginnt.
Vielen Dank für das Gespräch.