Aus der EINSVIER: Im Helfermodus

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Ein Mann in einem roten Poloshirt und Mann in einem grauen Anzug stehen vor einer Häuserfassade

Im Helfermodus

Am 24. Februar 2022 veränderte sich die Welt. An diesem Tag begann der Angriff auf die Ukraine. Im Kriegsgebiet verloren unzählige Menschen ihr Zuhause. Die Länder in Europa standen nach 2015 erneut vor der Herausforderung, hunderttausende Geflüchtete aufzunehmen und unterzubringen. Wo und wie das möglich ist, wollte EINSVIER-Redakteurin Carolin Brüstel von der ProPotsdam und der GEWOBA wissen.

Die passende Wohnung zu finden, kann Zeit in Anspruch nehmen. Bis diese dann ein richtiges Zuhause ist, dauert es noch länger. Wie kostbar so ein Ort ist, zeigten mir persönlich in den letzten Monaten die schrecklichen Bilder aus der Ukraine: entkräftete Mütter, mit einem und mehreren Kindern an den Händen, die tagelang unterwegs sind, um den Bomben zu entkommen. Familien, die ihr verbliebenes Hab und Gut in Rucksäcken, Plastiktüten, Rollkoffern, Kinder- oder auch Einkaufswagen quer durch Europa schieben. In kürzester Zeit verloren Millionen Menschen ihr Zuhause, teilweise unwiederbringlich.

Einige von ihnen retteten sich nach anstrengender und oft gefährlicher Flucht zu uns nach Potsdam. Hier erwartet sie kein neues Zuhause, sondern zunächst ein Bettenlager in einer improvisierten Anlaufstelle mit wenig Privatsphäre. Die Geflüchteten sind in Sicherheit und mit dem Notwendigsten versorgt – aber noch nicht am Ende ihrer Flucht.

Eine Frau in Jeansjacke steht an einem Fenster in einer Wohnung
Bianca Henke in einer neu sanierten Wohnungen im Binsenhof am Schlaatz.

Aus der Not heraus

Wie der Weg weiter ging, konnte mir Bianca Henke im Gespräch verraten. Sie ist Kaufmännische Kundenbetreuerin im Unternehmensverbund der ProPotsdam: „Unmittelbar zu Beginn der Krise haben wir uns sehr schnell zusammengesetzt und Unterbringungsmöglichkeiten besprochen.“ Bereits Anfang März, also nur wenige Tage nach Kriegsbeginn, bildeten sich sowohl bei der Stadtverwaltung als auch bei der ProPotsdam Krisenstäbe, die eng zusammenarbeiten. Die größte Herausforderung war und ist es, vermietbaren Wohnraum in kürzester Zeit bereitzustellen. „Wo in Potsdam sollen Geflüchtete unterkommen, wenn die Leerstandsquote in der Stadt gegen Null geht, und es praktisch keine freien Wohnungen gibt?“, frage ich Bianca Henke. Die Aufgabe erscheint mir unlösbar. „Bei der ProPotsdam arbeiten unentwegt mehrere Fachabteilungen, um Wohnungen im Bestand technisch zu bewerten und um nach Freiflächen zu suchen, die eventuell bebaut werden können“, weiß Bianca Henke und berichtet mir, dass das Unternehmen schon im März die ersten Wohnungen zur Verfügung stellen konnte: Im Binsenhof am Schlaatz waren diese kurz zuvor saniert worden und daher sofort verfügbar.

Eine hohe Bereitschaft

Aber mit diesem Ad-hoc-Angebot war es nicht getan. Weitere bezugsfähige Wohnungen fanden sich nur vereinzelt. „Aus der Not heraus entschloss sich die ProPotsdam, sanierungsbedürftige Wohnungen für eine temporäre Nutzung herzurichten, obwohl sie bereits für eine bevorstehende Sanierung leergezogen worden waren“, erzählt mir die Kundenbetreuerin. Dazu zählen Wohnungen

in der Zeppelinstraße und im Otterkiez am Schlaatz. Selbst der Staudenhof rückte in den Fokus. „Im Ergebnis haben wir in wenigen Tagen mehr als 80 Wohnungen hergerichtet, die Mietverträge für die Landeshauptstadt vorbereitet und die Wohnungen übergeben.“

Was herrichten bedeutet, erklärten mir Olaf Stragies, Bereichsleiter FacilityManagement bei der GEWOBA, und Enrico Puhl, Teamleiter FacilityManagment Bauinstandhaltung: „Diese Wohnungen waren in einem sehr schlechten Zustand, und für einen sofortigen Bezug nicht geeignet.“ Kurzfristig wurden Handwerksfirmen hinzugezogen, die eigentlich für andere Vorhaben eingeplant waren, um die Räumlichkeiten wieder funktionstüchtig zu machen. „Das war auch für unsere Dienstleister eine überraschende Herausforderung, aber alle wussten, dass die Wohnungen für Geflüchtete aus der Ukraine schnell bereitgestellt werden mussten. So manch ein Handwerker opferte sein Wochenende, um die Wohnungen rechtzeitig fertigzumachen. „Es herrschte eine hohe Einsatzbereitschaft bei den Mitarbeiter*innen und Firmen.“

Allein in der Fremde

Ich unterstelle in den Gesprächen, dass in jeder Wohnung eine Familie unterkommt. Doch Kundenbetreuerin Bianca Henke klärt mich auf: „Abhängig von der Wohnungsgröße muss durchaus auch zusammengerückt werden, vergleichbar mit einer Wohngemeinschaft.“ In den ersten zwei Monaten nach Kriegsbeginn kamen mehr als 2.500 Geflüchtete nach Potsdam. Daher müssen viele Menschen untergebracht werden. „Besonders berührt haben uns die unbegleiteten minderjährigen Kinder, die ihre Eltern verloren haben und ganz allein in einem fremden Land sind, für die wir jedoch auch eine Unterkunft gemeinsam mit dem Jugendamt finden konnten“, ergänzt Bianca Henke.

Beim Herrichten der Wohnungen herrschte eine hohe Einsatzbereitschaft bei den Mitarbeiter*innen und Firmen.

Ein Mann in einem roten Poloshirt und Mann in einem grauen Anzug stehen vor einer Häuserfassade
Olaf Stragies, Bereichsleiter FacilityManagement bei der GEWOBA

Nach meinen Gesprächen bin ich zuversichtlicher, dass vielen Geflüchteten Wohnraum zur Verfügung gestellt werden kann. Doch es bleiben Wohnräume. Davon, wirklich zu Hause zu sein, sind die Geflüchteten noch weit entfernt.

TEXT CAROLIN BRÜSTEL