Die bewegte Stadt
Mobilität und Verkehr sind seit jeher Aufregerthemen, auch in Potsdam. Wie könnte hier eine kluge und nachhaltige Mobilitätswende gelingen? Die Verantwortlichen in der Landeshauptstadt müssen verschiedene Interessen und Bedürfnisse zusammenführen. EINSVIER sprach darüber mit Bernd Rubelt, Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Umwelt.
Potsdam wächst – und das stetig. Heute zählt die Landeshauptstadt längst mehr als 187.000 Einwohnerinnen und Einwohner (Stand 31. Dezember 2023). Einer neuen Bevölkerungsprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung zufolge sollen es bis 2045 rund 210.000 Menschen sein. Die Stadt liegt damit, was das Wachstum anbelangt, deutschlandweit im Spitzenfeld. Mehr Menschen in einer Stadt wirken sich auch auf die Mobilität und die Verkehrsbewegungen innerhalb der Stadt aus.
Mehr Menschen steigen um
Bernd Rubelt berichtet von allmählichen Veränderungen, Maßnahmen sowie Konzepten, die die Stadt auf den Weg gebracht hat. Er spüre auch ein
Umdenken in der Bevölkerung. Seit 2017 ist er Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt der Landeshauptstadt, 2019 kam der Bereich Wirtschaft hinzu.
Potsdam habe zwar in den vergangenen Jahren enorm an Einwohnerinnen und Einwohnern gewonnen, wie Rubelt sagt. „Aber der Autoverkehr ist nicht in gleichem Umfang mitgewachsen. Der Mehrverkehr durch Neubürgerinnen und Neubürger ist größtenteils auf den Umweltverbund verlagert worden“, so Rubelt. Auch die alteingesessenen Potsdamerinnen und Potsdamer würden häufiger umsteigen. Mit dem Umweltverbund sind umweltfreundliche Verkehrsmittel gemeint, wie der ÖPNV sowie der Rad- und Fußverkehr. Diese Verlagerung habe man an einigen Straßen und Knotenpunkten belegen können, erklärt Rubelt.
So habe sich etwa der Autoverkehr auf der Humboldt- und der Langen Brücke in den vergangenen Jahren reduziert. Dies ergebe sich aus den Zählungen des Verkehrsamtes. Waren es in den Jahren 2010 und 2011 beispielsweise noch auf beiden Brücken durchschnittlich jeweils 20.000 Autos pro Tag, sind es zuletzt nur noch jeweils etwas mehr als 15.000 gewesen. Ein weiteres Beispiel ist die Zeppelinstraße.
Aufgrund der enormen Verkehrslast und der hohen Luftschadstoffbelastung wurde der Straßenraum neu aufgeteilt und der Platz für Autofahrerinnen und Autofahrer verengt. Der Radverkehr bekam mehr Platz. „Auch hier zeigte sich bei Zählungen, dass der Kfz-Verkehr weniger geworden ist und es eine Verlagerung hin zu umweltfreundlichen Alternativen gab“, sagt Rubelt. Wichtige Erfahrungen hätten die Planerinnen und Planer in den vergangenen Jahren mit der Entwicklung einzelner Quartiere gesammelt, da dort neue Verkehrs- und Mobilitätskonzepte „erprobt“ werden konnten.
Chance für neue Konzepte
„Die Chance der Konzepte ist, dass es uns auch in einem Wohnquartier wie etwa dem Schlaatz gelingt, die Mobilitätsentscheidung schon am Wohnort zu beeinflussen – im Sinne einer umweltgerechteren Mobilität“, sagt Rubelt im Hinblick auf die geplanten Entwicklungen im Rahmen von „Schlaatz 2030“.
Ein solches Umdenken könne etwa mit der Frage anfangen, wie viele Stellplätze das Quartier wirklich braucht. „Dann käme man vielleicht, wie beispielsweise in Drewitz, zu erstaunlichen Zahlen.“ So könne der Raum vor Ort anders genutzt werden. Dies schaffe auch ein positives Bild im Stadtteil, so dass sich vielleicht manche dazu entscheiden, den ÖPNV oder das Rad zu nutzen, hofft Rubelt. In der Konrad-Wolf-Allee in Drewitz sei dies bereits gut gelungen.
„Wir müssen akzeptieren, dass wir eine historische Stadt haben, die sich baulich nicht beliebig verändern lässt.“
Mobilitätsentscheidung beginnt an der Haustür
„Wir lernen ja mit jedem Quartier dazu“, so Rubelt. Beim Neubauquartier in der Heinrich-Mann-Allee habe man sich mit der ProPotsdam zusammengesetzt und Ideen entwickelt, wie sich kluge Mobilitätsund Verkehrspolitik mit dem Wohnungsbau verbinden lasse. Vor Ort ist ein Mobilitäts-Stützpunkt entstanden, weitere seien in Planung, mit Carsharing- sowie verschiedenen Leih-Angeboten etwa für E-Scooter oder Fahrräder. Im Quartier gibt es zudem zahlreiche Fahrradstellplätze und auch Ladestationen für Elektromobilität. Für die Mieterinnen und Mieter von Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnungen in der Gartenstadt Drewitz bietet die ProPotsdam einen Mobilitätsbonus an, der ein kostenloses Jahresticket (Tarifbereich AB) der städtischen Verkehrsbetriebe ViP enthält.
„Überall dort, wo Menschen hinziehen, treffen sie mit dem Ortswechsel auch ihre Mobilitätsentscheidungen neu“, sagt Rubelt. Dies sei ein entscheidender Ansatz für die Entwicklung von Krampnitz gewesen, für dessen Planung, Koordinierung und Umsetzung die Entwicklungsträger Potsdam GmbH verantwortlich ist. Dort werde es kaum Stellplätze im öffentlichen Straßenraum geben. „Wir haben festgestellt, dass wir mit einer solchen klaren Botschaft Menschen überzeugen können“, sagt Rubelt. In Krampnitz wird es Quartiersgaragen mit Sharing-Angeboten und E-Lade-Möglichkeiten geben, eine gute Radweg- und ÖPNV-Anbindung und ausreichend Infrastruktur. Die vorhandene Infrastruktur steuere die Mobilitätsentscheidung bereits an der Haustür, meint Rubelt.
„Wir sollten auf nachhaltige Konzepte setzen und versuchen, die Straßenräume so gut wie möglich
zu nutzen.“
Straßenräume neu denken
Natürlich soll sich auch in Zukunft noch viel in Potsdam Richtung nachhaltiger Mobilität bewegen. Bernd Rubelt nennt drei Leitprojekte und Strategien, die die Stadt und sein Fachbereich beim Thema Verkehrswende verfolgen beziehungsweise bereits initiiert haben: das Konzept für eine autoarme Innenstadt, die Verlagerung des Verkehrs auf sogenannte Pendler-Korridore sowie das neue Radverkehrskonzept.
„Mit der autoarmen Innenstadt verfolgen wir ein Konzept, welches Fußgängerinnen und Fußgängern, Radfahrerinnen und Radfahrern und dem ÖPNV in der Innenstadt den Vorrang gibt und die Verkehrsbelastung durch Pkws maßgeblich reduzieren soll. Hierbei geht es vor allem um die Parksuchverkehre und die hohe Aus- und Belastung der engen historischen Altstadtstraßen“, erklärt Rubelt.
Grundlage dafür bildet das Konzept „Straßenräume neu denken“. Ein Modellversuch läuft seit März 2024 für ein Jahr in der Dortustraße. „Das Projekt ‚Straßenräume neu denken‘ ist über ein paar Jahre angelegt, und die brauchen wir auch. Wir brauchen eine kluge Verkehrsorganisation, und wir müssen uns diesen Modellversuch jetzt genau anschauen, um zu entscheiden, wie wir dann weiter agieren.“
Verkehr verlagern
Die zweite wichtige Aufgabe seien die Pendler-Korridore, jene Hauptzufahrten, auf denen sich der Autoverkehr in und aus der Stadt heraus in den Spitzenzeiten konzentriert, wie etwa die Heinrich-Mann-Allee oder die Zeppelinstraße. Die Stadt untersucht, wie sich der Verkehr noch mehr auf diese Korridore lenken lässt – und mit entsprechenden Angeboten insbesondere für den ÖPNV.
Der dritte Schwerpunkt liegt aktuell bei der Weiterentwicklung des Radverkehrskonzepts aus dem Jahr 2017. Dazu gab es bereits verschiedene Beteiligungsformate mit Radfahrerinnen und Radfahrern. Im Oktober konnten zudem Einwohnerinnen und Einwohner an einer Online-Umfrage der Landeshauptstadt teilnehmen und Ideen einbringen. Mit dem neuen Konzept soll Potsdams Radinfrastruktur verbessert werden, damit der Radverkehr langfristig schneller fließt, die Nutzung des Fahrrads attraktiver und sicherer wird, so dass die Menschen eher bereit sind, mal aufs Rad umzusteigen, sagt Rubelt.
Eine andere Art von Bewegung
Wie der Beigeordnete betont, müssen in Potsdam alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer gleichermaßen berücksichtigt werden. Potsdam lasse jedoch aufgrund seiner historisch gewachsenen Struktur wenig Platz, um es allen immer und überall recht zu machen, so Rubelt.
„Wir müssen akzeptieren, dass wir eine historische Stadt haben, die sich baulich nicht beliebig verändern lässt. Wir sollten daher auf nachhaltige Konzepte setzen und versuchen, die Straßenräume so gut wie möglich zu nutzen, um auch wirklich für alle einen Mehrwert zu haben.“
„Überall dort, wo Menschen hinziehen, treffen sie mit dem Ortswechsel auch ihre Mobilitätsentscheidungen neu.“
Beim Thema Verkehrssicherheit setzt sich Rubelt neben dem Ausbau sicherer Radwege und anderer Maßnahmen für die Ausweitung der Tempo-30-Zonen ein, vor allem in der Innenstadt und in den Wohnquartieren. „Eine Zügelung des Tempos würde neben der Verbesserung der Sicherheit zu einer anderen Art von Bewegung, zu einer anderen Verkehrskultur in der Stadt mit mehr gegenseitiger Rücksichtnahme führen“, gibt Rubelt als Ausblick.
TEXT SARAH STOFFERS