Aus der EINSVIER: Ausnahmezustand unter Palmen

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Anlaufstelle für Geflüchtete in der Orangerie der Biosphäre

Ausnahmezustand unter Palmen

Seit Anfang März fungiert die Orangerie der Biosphäre Potsdam als Anlaufstelle für aus der Ukraine Geflüchtete. Innerhalb kürzester Zeit hat das Team der Potsdamer Tropenwelt dort einen Ort geschaffen, wo Menschen in Not Quartier, Verpflegung und weitere Hilfe erhalten. Und das bei laufendem Betrieb nebenan. EINSVIER-Redakteurin Anja Rütenik hat mit Biosphäre-Mitarbeitenden über diese Ausnahmesituation gesprochen.

Still ist es in der Orangerie der Biosphäre an diesem Vormittag, sehr still. Und das, obwohl hier fast 120 Menschen Quartier bezogen haben. Zu sehen sind nur wenige von ihnen, vor allem Kinder und Teenager, die mit ihren Smartphones und Tablets an der Ladestation sitzen. Die Geräte sind ihre Verbindung in die Heimat, zu Familien und Freunden, zum Vertrauten. Wie ein Eindringling fühlt man sich, möchte das bisschen Privatsphäre, das die aus der Ukraine Geflüchteten haben, nicht verletzen.

Seit Anfang März, nur wenige Tage nach dem Angriff auf die Ukraine, ist die Orangerie der Biosphäre eine Notunterkunft für aus dem Land Geflüchtete. Zu jeder Tages- und Nachtzeit finden sie hier Zuflucht, einen Schlafplatz, eine warme Dusche, zu essen und zu trinken. Zu verdanken ist das den Mitarbeiter* innen der Biosphäre, die mit ihrem Engagement weit über ihre eigentlichen Aufgaben hinaus innerhalb kürzester Zeit scheinbar Unmögliches geschafft haben.

Schon als die Nachrichten den Beginn des Angriffs verkündeten, war klar, dass es in Potsdam kurzfristig hohen Bedarf an Unterkünften für geflüchtete Ukrainer*innen geben wird, berichtet Biosphäre-Geschäftsführer Sebastian Leifgen. Nur wenige Monate nach seinem Antritt als Chef der Tropenhalle sahen er und sein Team sich mit einer Ausnahmesituation konfrontiert.

 

Frau mit Maske steht an einem Ausgabetisch in einer tropischen Halle
Mit dem Nötigsten versorgt: In der Biosphäre erhalten die Geflüchteten Kleidung, Hygieneartikel, für die Kinder wird etwas Spielzeug bereitgehalten.

In drei Tagen zum Quartier

Bereits vor der offiziellen Anfrage der Stadtverwaltung begann der Geschäftsführer, alles in die Wege zu leiten, was für eine Flüchtlingsunterkunft benötigt wird. Dabei geholfen hat ihm auch sein beruflicher Hintergrund, der Beherbergungsbranche. „Für mich war das ein Hotelprojekt“, berichtet Leifgen.

Als das „Go“ der Stadtverwaltung kam, blieben nur drei Tage Zeit, alles vorzubereiten: Bereits gebuchte Veranstaltungen wurden abgesagt, 150 Feldbetten geliefert, Trennwände von der ProPotsdam zur Verfügung gestellt und drei Sanitärcontainer mit Toiletten und Duschen geordert. „Nur wenig später hätten wir vermutlich gar keine mehr bekommen“, ist sich Sebastian Leifgen sicher. Alle, die ihm einfielen, hat Biosphäre-Chef Leifgen um Hilfe gebeten, darunter die Stadtfraktionen der Parteien und den Stadtteilladen im Bornstedter Feld.

Doch mit dem Aufstellen der Sanitärcontainer war es nicht getan: Vor der Inbetriebnahme mussten Stromleitungen und frostsichere Wasserleitungen verlegt werden. Matthias Krönert, der seit 20 Jahren als Haustechniker der Biosphäre für Dinge wie das künstliche Gewitter zuständig ist, erinnert sich an diese Wochen: „Es war extrem schwierig“, berichtet er. „Alle haben mit angepackt, und Lücken haben wir mit externen Firmen gefüllt. Es ging erst mal nur darum, zu helfen.“ Unterstützung gab es unter anderem von der AWO und dem Zulieferer Bär & Ollenroth, der die Hälfte der notwendigen Anschlusstechnik gesponsert hat. Matthias Krönert hat eine besondere Beziehung zur Ukraine, ist mit einer Ukrainerin verheiratet und war schon oft dort. Seine Frau Olga half in den ersten Tagen aus und dolmetschte. Ihre eigene Familie ist noch in ihrer Heimat. „Ich habe Angst, in die Ukraine zu fahren und zu sehen, wie es dort jetzt aussieht“, berichtet sie.

Wo sonst Brautpaare ihre Liebe besiegeln, Jubilare schöne Stunden mit ihren Gästen verbringen oder bei Tagungen neue Impulse gesetzt werden, schlafen seit Wochen Menschen, die alles verloren haben. Ihr Haus, vielleicht auch ihre Familie und Freund*innen zurücklassen mussten. Kinder, die keine Zeit mehr hatten, ihr Lieblingskuscheltier einzupacken, weil die Bomben und Panzer immer näher rückten. Manche Geflüchtete kommen mit Koffern und Rucksäcken zur Aufnahmestelle, andere nur mit dem, was sie am Körper tragen, darunter alte Menschen und Mütter mit Kindern.

Ein Mann mit blauer Weste und weißem Hemd steht vor tropischer Kulisse
Ist stolz auf seine Mitarbeiter*innen: Geschäftsführer Sebastian Leifgen
Ein Mann und eine Frau stehen in einer tropischen Location
Engagiert: Das Biosphäre-Team, hier Matthias Krönert und Carolin Röper

Engagement über den Feierabend hinaus

300 bis 500 Menschen kamen zeitweise pro Tag zur Auffangstelle. Die meisten blieben nur für ein, zwei Nächte, bevor sie an andere Städte oder Unterkünfte weitervermittelt wurden. Doch nicht immer gelingt die rasche Vermittlung, dann gibt es Menschen, die zwei, drei Wochen in dem provisorischen Lager ausharren müssen. Manche kommen zurück, weil die Zeit im von der Stadt gebuchten Hotel vorbei ist oder Privatleute nicht länger Obdach anbieten können.

„Die Sprachbarriere ist das Schwierigste“, berichtet Carolin Röper. Die Biosphäre-Mitarbeiterin ist Bankettleiterin in der Gastronomie und für gedeckte Tafeln etwa bei Hochzeiten zuständig. Seit Anfang März hat sie die zentrale Koordination in der Anlaufstelle übernommen und war die Schnittstelle zwischen der Stadtverwaltung und dem Biosphäre-Team. „Es war ein Glück, dass schon am Anfang das Nötigste da war. Die gesamte Biosphäre hat uns hier den Rücken freigehalten“, erzählt die junge Frau, die immer noch dort einspringt, wo gerade Bedarf besteht. „Die meisten Menschen, die bei uns ankamen, haben erst mal Ruhe gebraucht nach der langen, schwierigen Flucht“, sagt sie. Inzwischen sind viele der Geflüchteten tagsüber damit beschäftigt, sich bei den Ämtern vorzustellen. Für die Verständigung mit den Ukrainer*innen stehen freiwillige Helfer zur Verfügung. Auch der Dienstleister, der die Servicekräfte für die Notunterkunft stellt, ist selbst Ukrainer und dolmetscht, wenn es gebraucht wird.

Wo zunächst Feldbett an Feldbett stand, separiert nur durch Trennwände, haben die Bewohner*innen inzwischen provisorische, durch Bauzäune und Vorhänge getrennte Räume und so zumindest etwas mehr Privatsphäre. Mahlzeiten gibt es dreimal am Tag, 50 Personen finden im Essbereich Platz. Sind es mehr, wird in Etappen gegessen. Für die Kinder gibt es Spielzeug, gespendete Kleider und Hygieneartikel liegen bereit.

Neues Projekt in Vorbereitung

Das außerordentliche Engagement seines Teams weit über die reguläre Arbeitszeit weiß Geschäftsführer Sebastian Leifgen zu schätzen. „Alles hat nur so gut geklappt, weil die Mitarbeiter hier so gut mitgezogen haben“, sagt er anerkennend. Sei es für die technischen Anlagen, die Koordination oder Ausschilderungen, die den Ankommenden den Weg weisen. „An den Mitarbeitenden gehen die Ereignisse der vergangenen Monate und die Schicksale ihrer Schützlinge natürlich nicht spurlos vorbei. Das ist in den Gesprächen zu merken, die emotionale Ausnahmesituation müssen die Kolleg*innen verarbeiten. Deshalb steht ihnen bei Bedarf psychologische Betreuung zur Verfügung. Nach einigen Wochen hat die Biosphäre mit Karsten Görig zudem einen Projektleiter für die Flüchtlingshilfe eingestellt, der die Koordination übernimmt. „Es ist erstaunlich, wie der Betrieb der Flüchtlingsunterkunft mittlerweile ein fester Bestandteil der Biosphäre geworden ist“, so Sebastian Leifgen.

Die Biosphäre Potsdam von außen, bemalt mit einem blau-gelben Kolibri
Zeichen für den Frieden: Den Kolibri vor der Ukraine-Flagge hat ein Biosphäre-Mitarbeiter auf die Fassade gemalt.

Nun, wo die Grundbedürfnisse wie Schlafen und Essen abgedeckt sind, möchte das Biosphäre-Team den nächsten Schritt gehen und den Menschen helfen, sich zu integrieren, Arbeit und Kinderbetreuung zu finden. So soll eine ukrainische Küche in der Biosphäre aufgebaut werden. Olga Krönert hat einen Aufruf in ihrer Muttersprache vorbereitet. Es sei ein Experiment, so Leifgen: eine Gastronomie, in der das Personal kein Wort Englisch oder Deutsch spricht. Das Biosphäre-Team hofft, im Juni die ersten Ukrainer*innen einstellen zu können. „Im besten Fall können wir andere Unternehmen dafür begeistern und dabei unterstützen, ebenfalls diesen Schritt zu gehen“, so der Biosphäre-Chef.

In den vergangenen Monaten haben sich das Team und die externen Dienstleister eingespielt, auch Freiwillige sind weiterhin dabei. Ende Juni wird die Notunterkunft im Bornstedter Feld auf Anordnung der Stadt schließen und die Orangerie wieder als Veranstaltungsort genutzt werden. „Wir haben es gern gemacht und sind froh, dass wir auf diese Weise helfen konnten“, bilanziert Sebastian Leifgen die vergangenen dreieinhalb Monate. Er und sein Team hätten sich gerne noch weiter für die Geflüchteten engagiert. Und doch freuen sich alle, dass es bald wieder glückliche Stunden sein werden, die die Menschen in der Orangerie der Biosphäre Potsdam verbringen werden.

TEXT ANJA RÜTENIK

Ein Blick hinter die Kulissen

Biosphäre Potsdam wird Notunterkunft für Geflüchtete