Im EINSVIER-Interview: Bob Hanning

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Handball-Trainer und Sportfunktionär Bob Hanning steht in der Sporthalle der MBS-Arena.

„Wir wollen das stärkste Ausbildungszentrum Europas sein“

Visionär, Macher, Provokateur – Bob Hanning, Geschäftsführer der Berliner Füchse, gilt als Enfant terrible des deutschen Handballs. Als früherer DHB-Vizepräsident krempelte er den Verband um und führte die Nationalmannschaft 2016 zum EM-Titel. Seit vergangenem Sommer ist er Trainer des 1. VfL Potsdam. Im EINSVIER-Interview spricht er über die fruchtbare Kooperation zwischen den Füchsen und den Adlern, die Nachwuchsförderung und sein Buch „Hanning. Macht. Handball.“
 

Herr Hanning, vergangenen Sommer haben Sie das Traineramt der Handballer des 1. VfL Potsdam übernommen. Warum haben Sie diesen Schritt gemacht und mit welcher Vision sind Sie als Trainer der Adler angetreten?

Mit vielen Verantwortlichen des VfL besteht seit Jahren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Alex Haase (Vorstand Leistungssport des 1. VfL Potsdam und Lehrertrainer, Anm d. Red.) habe ich selbst bei meinen Füchsen als Trainer gehabt und dann auch zur Nationalmannschaft geholt. Und mit Axel Bornemann (Jugendkoordinator und Trainer der A-Jugend beim VfL, Anm. d. Red.) habe ich schon lange über die Jugendmannschaften eine sehr enge Verbindung. Beide Vereine sind zudem durch viele Partnerschaften verbunden. Man kennt und schätzt sich. Der Versuch des VfL Potsdam in die 2. Liga aufzusteigen, glich jetzt acht Jahre lang eher einer Wunschvorstellung denn einem Ergebnis. Und da ich weniger ein Freund von Erlebnissen als von Ergebnissen bin, haben wir überlegt, wie wir erfolgreich sein können. Die Antwort war klar: Eine noch stärkere Vernetzung der beiden Vereine. Das mache ich auch gerne und mit einer tiefen Überzeugung, dass es die richtige Lösung ist.

Eine Handballmannschaft steht in einer Sporthalle  im Kreis um ihren Trainer herum.
In seinem Element: VfL-Trainer Bob Hanning gibt den Adlern Spielhinweise.

Woran haperte es denn bislang beim VfL und was haben Sie auf den Weg gebracht, um den Aufstieg zu erreichen?

Ich glaube, dass es manchmal ganz gut ist, wenn ein Außenstehender auf ein gut laufendes System drauf guckt und versucht, an der einen oder anderen Stellschraube zu drehen. Wir wollen gemeinsam noch ein Stückchen mehr in Bewegung kommen, hin zu mehr Professionalität. Große Dinge sind zum Beispiel das Thema Physiotherapie, also dass immer ein Physiotherapeut beim Training ist und es dafür auch ein durchgängiges Konzept gibt. Weil jeden Spieler, den ich schneller wieder auf die Platte kriege, kann mir am Ende den entscheidenden Punkt holen. Es geht aber auch um die Details. Ich möchte gerne in einen Bus einsteigen, der auch mit meinem Namen gebrandet ist. Das macht auch was mit den Spielern. Wir haben auch bis heute keine eigene Kabine, in der sich die Mannschaft gemeinsam wohlfühlt. Und von diesen kleinen Details gibt es Hunderte, die man anpacken und umsetzen muss. Und da arbeiten wir alle gemeinsam dran.

Sie haben auch Spieler von der A-Jugend der Füchse zum VfL geholt. Ist das Team nun reif für die zweite Liga?

Wir haben seit Jahren ein durchlässiges Konzept. Viele von meinen Spielern bei den Füchsen haben ja schon für Potsdam gespielt. Etwa Kevin Struck oder David Cyrill Akakpo, um mal zwei Namen zu nennen. Genauso sind Spieler in der Jugend zu den Füchsen gewechselt. Jetzt haben wir die Kräfte gemeinsam konzentriert. Die Mannschaft hat sich souverän für die Aufstiegsrunde qualifiziert. Ich vertraue meinen Jungs, es wird darauf ankommen, dass wir uns mit Leidenschaft und Herz gegen die Erfahrung der anderen Teams zur Wehr setzen.

Bereits seit 2013 besteht eine Kooperation zwischen den Füchsen und dem VfL. Was sind neben dem Aufstieg des VfL ihre gemeinsamen Pläne?

Wir haben eine Menge miteinander vor, wollen das stärkste Ausbildungszentrum Europas sein und mit unseren Teams in 1., 2. und 3. Liga spielen. Und wir wollen zwei ambitionierte Jugendbundesligamannschaften stellen. Damit werden wir eine Nachhaltigkeit schaffen wie kein anderer Verein.

Sportlich zu Hause ist der 1. VfL am Luftschiffhafen. Wie spielen die Bedingungen am Standort in diese fruchtbare Zusammenarbeit mit rein? Hat Potsdam das, was es für den Erfolg braucht?

Der Luftschiffhafen ist etwas ganz Besonderes. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten und es ist alles an einem Ort. Er ist großartig konzipiert worden. Ich liebe es immer, die Dinge vom Ende her zu denken. Und man merkt, dass die handelnden Personen das hier getan haben und etwas Einmaliges geschaffen haben. Dann kommt noch die Dreifachsporthalle, die MBS-Arena, dazu. Eine schöne Halle zum Spielen. Und dazu ist der Standort drumherum auch noch landschaftlich sehr schön.

Was macht den Luftschiffhafen in Potsdam auch gerade für Handballer besonders attraktiv?

Man hat den Eindruck, dass man hier wirklich gewollt ist. Man hat den Eindruck, dass gerade die jetzige Führung der ProPotsdam auch für ProSport steht. Es müssen noch einige Dinge verändert werden, vieles an dem Stützpunkt ist noch nicht fertig. Aber er bietet alle Möglichkeiten.

Luftbild Luftschiffhafen, Olympiastützpunkt Brandenburg
Alles an einem Ort: der Sportpark Luftschiffhafen.

Wie sieht es mit der Nachwuchsförderung in Potsdam aus? Das ist ja ein Thema, das Ihnen bekanntermaßen besonders am Herzen liegt.

Es ist genauso ideal wie in Berlin. Die Schule hier im Luftschiffhafen ist sehr eng mit dem Verein verzahnt, der wiederum sehr eng mit dem Verband. Und alle sind mit dem Olympia-Stützpunkt verbunden. Nur so geht Spitzensport. Als ich damals in Berlin anfing, habe ich ja nichts anders gemacht als die Oststrukturen – also die Einheit aus Schule, Ausbildung und Hochleistungstraining – wiederaufzubauen und die Spinnweben zu beseitigen. Dazu parallel der Fokus auf die Persönlichkeitsentwicklung. Das zahlt sich aus. Diese Strukturen sind auch in Potsdam stark vertreten.

Der Nachwuchs des VfL ist sehr erfolgreich. Ist das auch ein Ergebnis der guten Kooperation mit den Füchsen?

Wir betreiben das hier in Potsdam genauso intensiv wie bei den Füchsen. Es trainieren regelmäßig Spieler der A-Jugend im Profikader mit. Ein paar haben auch schon den einen oder anderen Drittliga-Einsatz gehabt, etwa Nils Fuhrmann oder auch Erik Westphal und Felix Mart. So wollen wir die Talente einbinden. Das ist Teil meiner DNA, die auch beim VfL vertreten ist. Ich brauche nicht jedes Jahr neue Spieler ins Team zu holen. Das hat für mich nichts mit Identifikation zu tun. Sondern ich brauche Motivation durch Identifikation und Hingabe.

Sie selbst sollen jeden Tag die Jugendmannschaft trainieren. Stimmt das oder ist das ein Mythos?

Ja, das mache ich jeden Morgen bei uns in Berlin. Aber auch mit einigen Potsdamern. Nachwuchstraining ist und bleibt meine absolute Passion. Das ist das, was ich am meisten liebe. Die ganzheitliche Entwicklung von jungen Menschen liegt mir am Herzen. Deshalb bin ich auch so ungeheuer erzürnt über den Umgang mit unserer Jugend in der aktuellen Situation.

"Ich habe immer gesagt, an dem Tag, an dem ich als Trainer oder Betreuer nicht mehr angespannt bin, an dem ich nicht mehr das Kribbeln spüre, mache ich Schluss."

Handball-Trainer und Sportfunktionär Bob Hanning steht in der Sporthalle der MBS-Arena.
Bob Hanning, Manager der Füchse Berlin, Trainer des VfL Potsdam

Sie meinen die Corona-Pandemie?

Ja, außerhalb der Paradieswelten wie in Potsdam oder Berlin. Wir sind ja noch privilegiert. Die Füchse haben Staatshilfe und Landeshilfe bekommen. Das ist auch richtig, weil man die Leuchttürme nicht kaputt gehen lassen darf. Die braucht man für den Nachwuchs. Aber zum Beispiel die D-Jugend durfte im vergangenen Jahr vielleicht drei oder vier Spiele machen. Die Verbände machen ihre Ligen zu, obwohl sie es zum Teil gar nicht müssten. Und das ist für mich ein Verbrechen an den Kindern. Wenn acht Mädchen Volleyball spielen und davon hören drei auf, weil sie nicht trainieren und spielen dürfen, dann geht eine ganze Mannschaft kaputt. Und so ist das in jeder Sportart. Und das tut mir in der Seele weh. Weil wir den Kindern Sozialverhalten abtrainieren, Gemeinsamkeit abtrainieren, Motorik abtrainieren. Du kannst alles reparieren mit Geld – aber nicht die Jugend.

Was erwarten Sie von der Politik bei diesem Thema?

Dass die Kinder Sport treiben können, wenn sie geschützt sind. Und ich erwarte von den Verantwortlichen in der Politik, dass sie mit Mut und dem nötigen Weitblick agieren und dass sie auch klar sagen, welche Folgen die einschränkenden Maßnahmen langfristig haben können. Es wurde während der Pandemie oft gesagt, die intensivbetten sind voll. Genauso bekommt man aber auch in den Jugendpsychiatrien keine Plätze mehr. Die sind hoffnungslos überbucht. Und deswegen ist es auch wichtig, dass sich Unternehmen wie die ProPotsdam für den Nachwuchs engagiert. Damit die Kinder und Jugendlichen auch in solchen schwierigen Zeiten nicht zu kurz kommen.

Sie sollen ein Gespür für junge Talente haben. Wie kann man sich eigentlich Bob Hanning als Trainer vorstellen?

Demokratisch-autoritär, wenn ich mich selbst bezeichnen müsste. Ich habe immer eine sehr hohe Erwartungshaltung an die jungen Menschen. Ich gehe auch keinem notwendigen Konflikt aus dem Weg. Und das tut dann auch mal weh. Ich kämpfe aber für jeden Einzelnen, wenn es darum geht, Hilfestellungen zu leisten. In meinem Berufsleben versuche ich immer, mich mit Menschen zu umgeben, die besser sind als ich. Und ich sage denen, dass ich keine Probleme auf meinem Tisch haben möchte – außer es ist etwas Persönliches, dann bin ich da. Sie sollen Probleme selbstständig lösen. Das erwarte ich auch von meinen Spielern. Sie sollen jeden Tag aus ihrer Komfortzone rauskommen. Sonst wird man nicht besser. Ich habe immer gesagt, an dem Tag, an dem ich als Trainer oder Betreuer nicht mehr angespannt bin, an dem ich nicht mehr das Kribbeln spüre, mache ich Schluss. Ich erwarte von den Spielern, dass sie alles dafür tun, damit wir die Ziele auch gemeinsam erreichen.

Wie sind Sie eigentlich zum Handball gekommen?

Ich bin ein Hochhaus-Kind. Ich bin in Essen in der zehnten Etage eines Hochhauses groß geworden. Von dort konnte ich auf die Grugahalle gucken, in der TUSEM Essen spielte. Ich wollte natürlich Handballprofi werden und fing in der Jugendmannschaft an. Dort hatte ich einen der größten Trainer der damaligen Zeit: Petre Ivănescu. Er warauch mal Nationaltrainer. Und so ist das dann immer mehr gewachsen. Ich habe sehr jung angefangen, Jugendmannschaften zu trainieren. Ivănescu habe ich mal erzählt, dass ich zu den Olympischen Spielen will. Da war ich noch kleiner als die heutigen 1,68. Ganz, ganz viele Jahre später bin ich als Co-Trainer der Nationalmannschaft nach Sydney zu den Spielen gefahren. Da hat mich Ivănescu angerufen und gesagt: „Du Bob, ganz ehrlich. Damals haben wir dich herzhaft ausgelacht. Aber siehe da, wenn du dir was in den Kopf setzt, schaffst du das auch.“ Und das war tatsächlich toll.

Sie waren acht Jahre DHB-Vizepräsident und haben in dieser Zeit viel bewegt. Der Verband steht heute besser da als jemals zuvor. Warum haben Sie im vergangenen Jahr Ihr Amt niedergelegt?

Wir haben wirklich jedes große Rad gedreht. Wir haben die Junioren-WM, die Männer-EM, die Männer- und die Frauen-WM nach Deutschland geholt. Es hat so jemanden wie mich einfach gebraucht. Jemanden, der das in dieser Konsequenz durchzieht. Ich finde, das ist kein Job, der einem gehört. Sondern etwas, das man eine Zeit lang begleitet und das dann auch mit maximaler Energie. Und ich habe mir in meinem Leben immer selbst ausgesucht, wann ich angefangen und wann ich aufgehört habe.

Im Oktober 2021 ist Ihre Autobiografie „Hanning.Macht.Handball.“ erschienen. Haben Sie den Zeitpunkt, also kurz nach Ihrem Abschied vom DHB, ebenso ganz bewusst gewählt?

Ja. Wenn ich Verbandsarbeit machen will, muss ich dafür leben. Und es hat mich unglaublich viel Kraft gekostet, den Verband dahin zu bringen, wo er jetzt ist. Ich habe dabei vielen Menschen wehgetan und das mit Konsequenz durchgesetzt. Weil ich mir gesagt habe, ich habe die Verantwortung für 750.000 Mitglieder und halte das aus. Ursprünglich wollte ich ein Buch über Führung schreiben…

Zur Person

Geboren 9.2.1968 in Essen
Ausbildung zum Kaufmann, nebenbei Erwerb der Trainerlizenzen C, B und A
Berufliche Stationen (Auswahl):
ab 1986 Trainer beim TV Essen-Cronenberg, Hanning schaffte bis 1991 acht Aufstiege mit Mannschaften des Vereins sowie bis 1993 den Aufstieg der 1. Mannschaft von der Verbands- in die Regionalliga
1996 bis 2000 Co-Trainer der Nationalmannschaft und Cheftrainer der B-Nationalmannschaft
seit Juli 2005 Geschäftsführer der Füchse Berlin
2013 bis 2021 Vizepräsident des Deutschen Handballbundes
seit der Saison 2021/22 Trainer des 1. VfL Potsdam
Erfolge als Manager:
Europameister 2016 (DHB)
Bronzemedaille Olympische Sommerspiele 2016 (DHB)
DHB-Pokalsieger 2014 (Füchse)
Klubweltmeister 2015 & 2016 (Füchse)
EHF-Pokalsieger 2015 & 2018 (Füchse)
Erfolge als Trainer:
Erfolgreichster Nachwuchstrainer Deutschlands (13 deutsche Meistertitel in A- und B-Jugend bis 2021 für die Füchse Berlin)

… Sie coachen ja auch Führungskräfte.

Ja. Und das mache ich unglaublich gerne. Aber dann war der Zeitpunkt gekommen, sich zu fragen: Warum schreibst du überhaupt ein Buch? Man schreibt ein Buch aus einer gewissen Grundeitelkeit heraus. Zumindest war es bei mir so. Und ich wollte dieses Buch schreiben, um zu erklären, wer hinter den schrillen Pullovern steckt und um das ein oder andere Thema gerade zu rücken. Und natürlich wollte ich auch eine Menge über den Handball schreiben.

Wie schneiden die Füchse und der VfL Potsdam am Ende der Saison ab? 

Die Füchse werden sich für Europa qualifizieren. Eventuell ist bei der derzeitigen Situation sogar die Qualifikation zur Champions League möglich. Mit dem 1. VfL Potsdam habe ich nur ein Ziel und das heißt Aufstieg in die 2. Handball-Bundesliga.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview Sarah Stoffers