Auf dem Wasser zu Hause
„Wer in der Spur anderer fährt, kann nicht überholen“: Diesen Spruch des Philosophen Immanuel Kant hat sich der Kanute Sebastian Brendel als Motto ausgesucht. Der Erfolg und sein Medaillenspiegel geben ihm recht. 2024 möchte der 34-Jährige in Paris noch mal olympisches Edelmetall holen. EINSVIER stellt den Spitzensportler aus der Landeshauptstadt vor.
Wenn Sie ein DIN A4-Blatt quer vor sich hinlegen, haben Sie eine Vorstellung davon, wie schmal Sebastian Brendels Sportgerät ist. Wer als Laie eines seiner Rennen anschaut, wundert sich, wie der 1,92 Meter große Mann es schafft, nicht mit dem Boot umzukippen. „Am Anfang war es schon so, dass man links einsteigt und rechts sofort aus“, berichtet er lachend. Diese Zeiten sind jedoch längst vorbei: Dutzende Medaillen hat der Potsdamer Kanute inzwischen im Canadier gewonnen, darunter dreimal olympisches Gold, zwölfmal WM-Gold und ebenso viele goldene EM-Medaillen.
Aus der Uckermark nach Potsdam
Im Alter von acht Jahren kam Sebastian Brendel in seiner Heimatstadt Schwedt/Oder zum Kanusport und landete schließlich nach Ermunterung durch seinen Trainer im Canadier, einem offenen Kanu, das kniend mit einem Stechpaddel gefahren wird. Seine Leistungen führten ihn als Zwölfjährigen aus der Uckermark nach Potsdam, wo der Kanute die Sportschule samt Internat besuchte. „Es war natürlich eine Riesenmotivation, dort zu üben, wo die besten der Welt trainieren“, erinnert sich Brendel. Die Voraussetzungen dafür könnten sich kleine Vereine gar nicht leisten. „Es ist schon ein Unterschied, ob man beim Heimatverein trainiert oder im Luftschiffhafen“, so der Sportler.
Längst bezeichnet der Olympiasieger Potsdam als seine Heimat. Ob im Luftschiffhafen oder rund um den Alten Markt: In den mehr als 20 Jahren, die der Kanute inzwischen hier lebt, hat er viel Wandel miterlebt und sieht diesen positiv. Gerade am Luftschiffhafen, seinem „Arbeitsort“: „Was am Olympiastützpunkt entstanden ist und wie viel investiert wurde in den letzten Jahren, ist schon Wahnsinn.“
Bis zu vier Trainingseinheiten stehen täglich auf dem Programm des für den Sport freigestellten Bundespolizisten. Je nach Jahreszeit ist das Training beim Kanu Club (KC) Potsdam zu unterschiedlichen Teilen aus Athletik- und Kraftübungen sowie anderen Disziplinen und Paddeltraining zusammengesetzt. Bei Letzterem können schon mal 30 Kilometer am Tag zusammenkommen, die er auf der Havel und den Gewässern rund um Potsdam zurücklegt.
Beeindruckender Medaillenspiegel
Das harte Training zahlt sich aus: Fast 50 Medaillen hat Sebastian Brendel schon gesammelt. Zu seinen größten Erfolgen zählen die Siege bei den Olympischen Spielen in London und Rio de Janeiro 2012 und 2016 im Einer- bzw. Zweier-Canadier über 1.000 Meter sowie jeweils mehr als ein Dutzend Welt- und Europameistertitel. „Ein Olympiasieg ist natürlich ein ganz besonderes Highlight und etwas, wovon jeder Sportler träumt“, so der Potsdamer. Vor allem der Sieg in London 2012 sei für ihn überwältigend gewesen: „Ich hatte mich erst im Frühling qualifiziert und war nicht als Favorit dabei. Am Ende konnte ich aber über mich hinauswachsen.“
„Es war natürlich eine Riesenmotivation, dort zu üben, wo die besten der Welt trainieren.“
Bei seinen Wettkämpfen fängt der Kanute seine Konkurrenten oft in der zweiten Hälfte des Rennens ein. „Für meinen Endspurt bin ich gefürchtet“, sagt er lachend. Viele Kontrahenten hätten sich jedoch inzwischen auf seine Taktik eingestellt.
Zusätzlich zum Sport und dem Familienleben hat Brendel jüngst noch ein Start-up für gesunde Fertigmahlzeiten gegründet. Die Idee entstand, als er seine eigene Ernährung hinterfragte und verbessern wollte – auch ohne die bei Sportler*innen so verbreiteten Nahrungsergänzungsmittel. 2021, mitten in der Corona-Pandemie, kamen in Zusammenarbeit mit einem Koch und einer Supermarktkette die ersten Produkte auf den Markt. „Wir sind gut gestartet, aber der anstrengende Teil kommt erst noch“, erzählt der Potsdamer über die Marke „Brendels“.
Vorbereitung für die Olympischen Spiele 2024 in Paris
Zudem geht es bald wieder mehr aufs Wasser: Im Frühling beginnt die Kanusaison, und schon in diesem Herbst startet der Potsdamer mit der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Paris 2024. Die möchte er noch mitnehmen, eine Medaille nach Hause bringen und danach seine Profikarriere beenden. „Dann wird es Zeit, den Jüngeren das Feld zu überlassen“, sagt der Kanute. Bis dahin wird aber noch eine Menge Wasser die Havel hinunterfließen.
TEXT ANJA RÜTENIK